12.»WIR MÜSSEN REDEN«

Schwierige Gespräche bewältigen

image Es gibt einen Weg, wie Liebe in jeder Situation vorhanden sein kann, und der besteht darin, sie zu schenken. Es gibt keine Situation, in der das nicht möglich ist. Manchmal wirkt es harmonisch und leicht, manchmal wie ›Das mach ich nicht mehr mit‹.«

Susan Piver

ES IST AN DER ZEIT, DASS WIR LERNEN, zwischen (oberflächlicher) Nettigkeit und (echter) Freundlichkeit zu unterscheiden. Beides wird zwar allzu oft miteinander verwechselt, aber eigentlich handelt es sich um ganz verschiedene Dinge. Bei »nett« geht es darum, sich sozial angemessen zu verhalten, ein gutes Ansehen zu wahren und die inneren Botschafter auszusenden, damit sie für alle eine Show abziehen. »Nett« ist das, was wir einsetzen, um unsere tief verwurzelte Angst zu verdecken, nicht liebenswert zu sein, dass mit uns etwas nicht stimmt und wir uns eigentlich nicht gut einfügen, nicht wirklich dazugehören. Oft ist es auch eine Anpassungsreaktion an Missbrauch, wenn man ein Gefühl verinnerlicht hat wie »Wenn ich hier eine unerwünschte Entscheidung treffe, werde ich vielleicht gemieden, angebrüllt oder geschlagen«. »Nett« ist eine Maske, die wir anlegen. »Nett« ist unverbindlich; wir halten uns damit andere vom Leibe. »Nett« kennt nur süßliches Aroma. »Nett« ist oft daran beteiligt, auf irgendeine Weise Schaden anzurichten. »Nett« wird stark überbewertet.

»Freundlich« hingegen hat keine Angst davor, unbeliebt zu sein. »Freundlich« stellt das, was ethisch, moralisch, fürsorglich und mitfühlend ist, über das, was sich gesellschaftlich »gehört«. »Freundlich« umfasst alle Geschmacksaromen, von süß über herzhaft bis hin zu scharf. »Freundlich« gibt dem, was richtig und wahr ist, Vorrang vor den Folgen. »Freundlich« ist näher, verletzlicher. »Freundlich« mag schwieriger sein, aber es ist viel befriedigender. »Freundlich« birgt nicht den fiesen Nachgeschmack von Falschheit in sich. »Freundlich« scheut sich nicht, Nein zu sagen. Freundlichkeit hat keine Angst davor, das zu sagen, was »wahr und echt und heilsam« ist, wie der Buddha es ausdrückte. »Freundlich« hat vor nichts Angst, weil es darauf vertraut, dass es, komme was wolle, einfach mit der Situation arbeitet.

Im vorhergehenden Kapitel haben wir uns mit Unterscheidungsvermögen in Bezug auf Emotionen befasst und gesehen, dass wir mithilfe der Sicht der Teile-Arbeit erkennen können, welche emotionalen Teile in uns selbst und in anderen aktiv sind. Das gibt uns mehr Klarheit und verleiht unseren Reaktionen stärkeren Nachdruck. Aber die Geschichte, mit der ich diese Lektion veranschaulicht habe, das Gleichnis von der Nonne und dem wütenden Mann, hat eine Schwäche: Sie beschreibt einen Konflikt zwischen Fremden. In den meisten Fällen von Spannungen oder Konflikten – und mit Sicherheit in den emotional wichtigsten Fällen – haben wir es mit Menschen zu tun, mit denen wir schon länger eine Beziehung haben: mit Partner*innen in einer Liebesbeziehung, mit Familienmitgliedern, Kolleg*innen, Freund*innen. Deshalb werden wir in diesem Kapitel einen Ansatz der Teile-Arbeit erkunden, denn er bezieht sich auf etwas, das ein bisschen heikler ist als ein einzelner Fall von emotionalem Jiu-Jitsu: die Kunst, ein schwieriges Gespräch zu führen. Das ist eine Situation, in der unsere Fähigkeit, »nett sein« bleiben zu lassen und zu »freundlich sein« überzugehen, wirklich auf die Probe gestellt wird.

WERDE DIR KLAR ÜBER DAS WANN

DU KANNST DAS AKRONYM »HALT« VERWENDEN, um zu erkennen, wann du keine schwierigen Gespräche führen solltest. Wenn du hungrig, aufgebracht, lethargisch oder einsam und traurig bist, fehlen dir wahrscheinlich die nötige Geistesgegenwart und die inneren Ressourcen, um dich an deine besseren Absichten zu erinnern. Ein entscheidender Aspekt für die erfolgreiche Bewältigung solcher Durststrecken ist die sogenannte kognitive Flexibilität. Es ist sinnvoll, davon auszugehen, dass du dich in schwierigen Gesprächen getriggert fühlen wirst und den Drang hast, in die gewohnten alten Reaktionsmuster zu verfallen. Du kannst vernünftigerweise davon ausgehen, dass die Situation eine Menge geistiger Flexibilität von dir verlangt, damit du nicht automatisch reagierst und dich an deine mühsam erworbenen Fähigkeiten reifen Kommunizierens erinnerst. Das gilt besonders dann, wenn du vor einem Gespräch mit jemandem stehst, den du in der Vergangenheit als schwierig empfunden hast. Verwende HALT als ein Stichwort, um einzuschätzen, ob du die Geistesgegenwart hast, es wie beabsichtigt durchzuziehen. Wenn du hungrig, aufgebracht oder beides bist, wenn du einsam, lethargisch, traurig und überlastet bist oder zu wenig Schlaf bekommen hast, lass das Gespräch am besten erst einmal sein, sofern möglich. In diesem Leben erhalten wir nur wenige Gelegenheiten für einen zweiten Versuch. Stolpere deshalb nicht einfach hinein. Mach es richtig.

WERDE DIR KLAR ÜBER DAS WARUM

WENN DU IN EINE SITUATION GERÄTST, die sich eher wie ein Minenfeld anfühlt als wie ein Familienessen, eine taktvolle Trennung oder eine Betriebsversammlung, dann mach dir klar, warum du überhaupt dorthin gehst. Wir müssen uns stets bewusst machen, dass wir uns nicht aus einer zwingenden Verpflichtung heraus in eine solche Situation begeben, sondern nur deswegen, weil wir uns dafür entscheiden. Ja, das Arbeitstreffen ist obligatorisch, aber du selbst wählst deinen Arbeitsplatz. Ja, du fühlst dich vielleicht verpflichtet, mit deinem Partner zum Feiertagsdinner seiner Familie zu gehen, aber ein Gefühl der Verpflichtung ist nicht dasselbe, als würde man dich dazu zwingen. Du bist erwachsen und kannst Nein sagen. Ja, es wäre angemessener, wenn du das Trennungsgespräch oder das Gespräch zum Aufzeigen von Grenzen, oder was auch immer für ein schwieriges Gespräch stets persönlich führen würdest, aber auch hier hast du jedes Recht, das Gespräch per E-Mail oder gar nicht zu führen. (Und, ja, es gibt da Ausnahmen von der Regel.) Solange deine Entscheidungen echter Freundlichkeit entspringen und ethisch vertretbar sind, bist du nicht für die Gefühle verantwortlich, die am anderen Ende der Situation erzeugt werden. Du bist nicht verpflichtet, das Geschenk der Böswilligkeit anzunehmen, von wem auch immer. Das Leben ist hart, Enttäuschungen sind unvermeidlich, und solange deine Handlungen freundlich und ethisch fundiert sind, liegt es nicht an dir, wenn andere noch nicht gelernt haben, mit ihren Gefühlen richtig umzugehen.

Es liegt allerdings bei dir, wie und warum du überhaupt irgendwo hingehst – darum hier der klare Hinweis: Du selbst wählst die Situation.

WERDE DIR KLAR ÜBER DAS WIE

ICH BIN EIN NEW YORKER, der Menschenmengen hasst. In einer Menschenmenge werde ich klaustrophobisch und nervös. Ich gehöre nicht zu denen, die einfach Ohrstöpsel einstecken und alles ausblenden können. Solche Leute sind Superheld*innen. Ich dagegen bin ein schwacher Normalsterblicher. Dennoch: Wenn ich mich in einer so tollen Stadt aufhalten möchte, muss ich zu manchen Zeiten einfach Situationen ertragen, die genauso gut mit dem Warnhinweis »Sofortige Panikattacke garantiert – einfach näherkommen reicht« versehen werden könnten.

Am Union Square gibt es einen Lebensmittelladen, in dem ich früher häufig einkaufen ging, weil es der einzige Laden mit Bioprodukten war, die ich mir leisten konnte. Drinnen war es, als hätte jemand verkündet, in einem der Artikel in den Regalen sei ein Diamantring versteckt, und alle wollten ihn unbedingt finden. Das ist nicht übertrieben. Ich hatte das folgende Ritual: Vor dem Betreten des Ladens hielt ich inne, atmete und sprach mir selbst aufmunternd zu. Ich nahm die belastende Situation geistig vorweg, indem ich mir selbst erklärte, dass ich geduldig sein, präsent bleiben, um mich herum Hektik und Aggressivität erwarten und während all dem Gelassenheit bewahren müsse.

Die Kunst, Grenzen zu setzen und schwierige Gespräche zu führen, besteht hauptsächlich darin, sich frühzeitig vorab auf die Situation einzustellen. Nachdem du dir die Zeit genommen hast und dir darüber klar geworden bist, dass du dich für eine bestimmte Situation entscheidest, ist es wichtig, dir darüber klar zu werden, wie du in diese Situation hineingehst. Wer bist du? Wer willst du in dieser Welt sein? Welche Werte hast du? Welche Energie ist deinem Gefühl nach die beste, um sie in zwischenmenschliche Situationen einzubringen? Welche Teile von dir lädst du ein, die Show zu leiten, und welche bittest du, diesmal hinter den Kulissen zu warten?

Meine Antworten auf all diese Fragen lassen sich auf zwei Dinge herunterbrechen: Fürsorge und Integrität. Wenn dem, was ich sage und tue, die Energie der Fürsorge zugrunde liegt, geht es mir am besten. Auch meine soziale Angst ist dann am niedrigsten. So introvertiert und sozial ungeschickt ich auch sein mag, wenn ich innehalte und mir in Erinnerung rufe, dass ich mich wirklich nur in eine Situation hineinbegebe, um in aller Herzlichkeit mit anderen zusammenzukommen, dann sind Gruppensituationen und andere Interaktionen, die mir viel abverlangen, leichter zu bewältigen. Großherzigkeit erweist sich so als ein besseres soziales Schmiermittel als Alkohol. Aber wir brauchen auch ein starkes Rückgrat, um diese Absicht aufrechtzuerhalten.

WERDE DIR DARÜBER KLAR, FÜR WEN

AM ENDE SEINER KURSE LÄSST MEIN FREUND und Lehrer ETHAN NICHTERN seine Schüler*innen das Gelübde chanten, eine Woche lang jeden Tag zu meditieren (und in der folgenden Woche legen sie das Gelübde aufs Neue ab). Darin hat er die folgende einprägsame Formulierung aufgenommen: »Hiermit verpflichte ich mich – für mich selbst und für niemanden sonst …« Es ist sinnvoll, diese Klausel in eine solche Verpflichtung aufzunehmen, da wir oft unbewusst erwarten, dass die Bestrebungen anderer sich mit unseren decken. Angenommen, du hättest herausgefunden, dass einige Kursmitglieder zu Hause nicht meditieren oder dass sogar der Lehrer einen Tag ausgelassen hat – du könntest in Versuchung geraten, das Meditieren ebenfalls wieder sein zu lassen. Ein Teil von dir, der weniger standhaft ist, könnte sich das als Begründung zunutze machen, um nicht zu erscheinen. Und so etwas könnte sogar noch eher eintreten, wenn es darum geht, als Vorkämpfer für Freundlichkeit durch die Welt zu gehen. Es kann sehr verlockend sein, unsere Werte und Verpflichtungen zurückzunehmen, wenn wir mit der Neigung anderer konfrontiert werden, schlafwandelnd durch die Welt zu gehen.

Es ist natürlich logisch zu fragen: »Warum soll ich freundlich sein, wenn andere aggressiv sind?« Ich muss jedoch hier auf die Geisteshaltung des automatischen Reagierens hinweisen. »Was soll ich machen, etwa die Leute auf mir herumtrampeln lassen?«, ist gewöhnlich die Frage, die dann folgt. Und die Antwort ist Nein. Verdammt noch mal, Nein. Wir diskutieren in diesem Moment im wahrsten Sinne des Wortes darüber, wie es gelingt, das nicht zuzulassen. Aber wir wollen freundlich sein können, und zwar so, dass es im Einklang ist mit dem, was wir wirklich sind und in der Welt sein wollen. Und wenn das so ist, dann müssen wir es bedingungslos sein. Unsere Fürsorge und Integrität dürfen nicht davon abhängen, ob andere freundlich sind oder nicht. Sie müssen für uns selbst gelten, für niemanden sonst.

Manchmal praktiziere ich etwas, das ich »alles verzeihen« nenne. Wenn ich weiß, dass eine Person toxisch handelt und ich dennoch entschieden habe, mich in ihrer Nähe aufzuhalten, übe ich mich darin, das, was sie sagt, und die Energie, die sie in die Umwelt projiziert, von Augenblick zu Augenblick loszulassen. Ich verzeihe ihr immer wieder, atme und stelle mich immer wieder auf das Gefühl der Fürsorge ein. Und das tue ich für mich. Ich empfinde Fürsorge, weil sich das am besten anfühlt. Für mich selbst, niemanden sonst.

Freundlichkeit ist auf diese Weise ein bisschen egoistisch.

DAS SCHMALZ–SANDWICH

NACHDEM WIR UNS MIT DER SITUATION auseinandergesetzt, uns an unsere freundliche Absicht erinnert und uns bestätigt haben, dass wir uns diese von niemandem wegnehmen lassen, sind wir jetzt bereit, uns dem schwierigen Gespräch, welches auch immer es sein mag, zu stellen. Ich gebe dir ein paar Floskeln mit, die du für das anstehende Gespräch verwenden kannst. Die grundlegende Formel ist das, was ich »Das Schmalz-Sandwich« nenne. Sie ist besser bekannt als die »Sandwich-Methode« oder »Das positive Sandwich«, aber Letzteres ist super-schmalzig, also habe ich es etwas abgeändert. Nichtsdestotrotz geht es hier darum, das Heikle, das wir sagen wollen, wie in einem Sandwich zwischen zwei positive Aussagen zu quetschen.

Zum Beispiel nimmt sich eine Freundin von dir schon seit einiger Zeit Freiheiten in eurer Beziehung heraus. Sie stützt sich zwar bei allen möglichen Anliegen auf dich, und du bist auch gern für sie da, aber dir fällt auch auf, dass sie sich, wenn du sie mal brauchst, seltener meldet oder dir kaum zuhört. Du empfindest in dieser Beziehung schon seit geraumer Zeit einen gewissen Groll, und du weißt jetzt, dass das ein Zeichen für ein Ungleichgewicht ist, das die Liebe und Gutherzigkeit in eurer Freundschaft zu gegebener Zeit töten kann und wird. Die Sandwich-Methode könnte so ablaufen:

image DAS BROT: »Vielen Dank, dass du dich mit mir triffst. Ich habe vorhin an unsere Freundschaft gedacht und daran, wie viel du mir bedeutest. Ich freue mich, wenn wir zusammen Zeit verbringen. Ich wollte mit dir aber auch mal über einige Entwicklungen in unserer Beziehung sprechen.

image DER BELAG: »Neulich, als ich mich in einer Krise wegen x, y und z an dich gewandt habe, ist mir aufgefallen, dass das Gespräch sofort wieder auf dich und deine Situation zurückkam, noch bevor ich überhaupt ausgesprochen hatte. Ich stelle fest, dass das ziemlich häufig passiert, und ich weiß nicht, ob du dir dessen bewusst bist. Deswegen hat ein Teil von mir das Gefühl, dass ich in unserer Beziehung nicht vollständig wertgeschätzt werde.«

image DAS BROT: »Versteh mich nicht falsch, ich unterhalte mich gern mit dir und höre auch gern, was sich bei dir gerade tut. Ich hoffe, dass wir die Art, wie wir kommunizieren, ein bisschen weiterentwickeln können, sodass sie uns beiden genügend Raum gibt.«

PUFFER HINZUFÜGEN

MIR PERSÖNLICH FÄLLT ES SCHWER, es überhaupt bis zum Sandwich zu schaffen. Allein der Gedanke daran weckt in mir den Wunsch, ein schönes großes Loch in den Boden zu graben und mich darin zu verkriechen. Ich fürchte mich vor der Gegenreaktion. Ich habe Angst, das Falsche zu sagen. Ich habe Angst, so getriggert und aufgestachelt zu sein, dass ich überreagiere – dazu neige ich nämlich mitunter. Ich habe die kulturelle Norm verinnerlicht, solche Unstimmigkeiten einfach unter den Teppich zu kehren und vor sich hin gären zu lassen, bis beide Parteien verbittert sind und schließlich auseinandergehen. Ich sehe auch, wo all das von Angst getrieben ist. Ich bin sehr darauf bedacht, meinen ängstlichen Teilen ein guter Elternteil zu sein, und gute Eltern lassen ihre Kinder nicht den Haushalt führen. Ich habe beschlossen, dass ich schmerzliche Wahrheiten angenehmen Lügen vorziehe. Ehrlich gesagt gibt es für mich nichts Absurderes, als vor der Wahrheit, koste es, was es wolle, davonzulaufen. Da ich aber weiß, dass meine Konditionierung mir vorschlagen wird, die Aussprache ganz zu vermeiden, brauche ich für mich mehr als das Sandwich. Ich füge vorab noch einige weitere Schichten hinzu.

Bevor ich dem Sandwich überhaupt nahekomme, beginne ich mit etwas Harmlosem, etwas, das zu sagen mir leichtfällt. Denn selbst wenn das Sandwich mit etwas Positivem beginnt, ist mir doch bewusst, dass ich gleich das Sandwich anwenden will, und schon allein das Positive auszusprechen, macht mich zu nervös. Also beginne ich so:

»Ich würde gern mal mit dir über etwas sprechen.«

Das ist ganz neutral, leicht zu sagen, und sobald ich es gesagt habe, gibt es kein Zurück mehr. Anschließend bekenne ich mich dazu, dass ich auch nur ein Mensch bin, zum Beispiel so: »Ich bin ein bisschen nervös. Solche Gespräche sind für mich eine Herausforderung, und es könnte sein, dass etwas falsch rüberkommt. Wenn ich herumdruckse und nach den richtigen Worten suche, muss ich dich vielleicht bitten, es noch einmal anders sagen zu dürfen. Nur damit du schon mal Bescheid weißt.«

Daraufhin füge ich das Sandwich ein: »Hier ist etwas, was ich an dir schätze. Hier ist das, was ich ansprechen möchte. Und hier ist noch etwas anderes, was ich an dir schätze.«

Dann schließe ich mit einer Einladung, beispielsweise: »Ich freue mich, wenn du mir sagst, was du darüber denkst. Auch das, worin du mir nicht zustimmst.«

DER TANGO

VERLETZLICHKEIT UND ABWEHR tanzen zusammen. Etwas an einer Person zu kritisieren berührt mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas Verletzliches in ihr. Es spielt keine Rolle, wie liebevoll du dabei bist, wie fest eure Beziehung ist oder wie viel ihr gemeinsam durchlebt habt: Wenn wir verletzt sind, kommen unsere Reaktionen, die vom »prähistorischen« limbischen System gesteuert werden, und unsere defensiven Teile ins Spiel, und wir werden zu einem anderen Menschen. Wir verlieren die Fähigkeit, logisch zu denken, und haben einen Tunnelblick; der Zusammenhang spielt dann für uns keine Rolle mehr. Unser Körper übernimmt die Kontrolle, und nicht selten stellen sich unsere Abwehrreaktionen fast unwillkürlich ein.

Dennoch gibt es zwei Kategorien an Verteidigungssystemen bzw. der Abwehr: präventive und reaktive. Unser präventives – vorbeugendes – Abwehrsystem ist ziemlich neutral: Es hilft uns, das Leben wie ein Verwaltungsbeamter oder eine Botschafterin zu managen. Unser reaktives Abwehrsystem kommt dagegen zum Zuge, wenn wir uns in irgendeiner Weise zu ungeschützt fühlen; es geht einher mit dem Gefühl, dass wir extremer werden müssen, um uns zu behaupten. Wut, Dumpfheit und Sucht fallen in das Gebiet dieses Systems.

In emotional aufgeladenen Gesprächen kannst du zu 99 Prozent sicher sein, dass du es mit dem Abwehrsystem deines Gegenübers zu tun hast. Die Frage ist, mit welchem. Das Verteidigungs- bzw. Abwehrsystem, mit dem wir zu tun haben wollen und das am ehesten zu einem klugen, konstruktiven Ergebnis führt, ist das präventive System. Wenn wir ein Gespräch mit einer neutralen Aussage wie »Ich würde gern mit dir reden« beginnen, wird die angesprochene Person zwar wachsamer werden, aber so ist es viel wahrscheinlicher, dass wir auf ihre Botschafter treffen, als wenn wir mit »Was du gestern getan hast, hat mich wirklich geärgert« beginnen. Wenn du vor einem schwierigen Gespräch stehst, dann visualisiere in deinem Gegenüber einfach einen inneren Botschafter und einen inneren Verteidiger und wende das Schmalz-Sandwich an, um dich an den Botschafter zu wenden.

IN EINER UNMÖGLICHEN SITUATION

NATÜRLICH GIBT ES SITUATIONEN, in denen keine der oben genannten Methoden anwendbar ist. Es gibt Situationen, in denen du (zumindest vorübergehend) jeden Anspruch der gegenseitigen Verständigung aufgeben und auf deine Sicherheit bedacht sein musst. Es gibt Menschen, die einfach nichts für dich sind, und umgekehrt. Es gibt Situationen, in denen keine Entwicklung möglich ist, weil jemand einfach da steht, wo er steht, und zwar aus vielfältigen Gründen. Aber das ist sein Geschenk, und du brauchst es nicht anzunehmen. Du brauchst dich überhaupt nicht darauf einzulassen. In unmöglichen Situationen besteht unsere einzige Aufgabe darin, zu gewährleisten, dass wir weggehen und dabei innerlich im Einklang bleiben. Zu manchen Zeiten kann man nichts weiter tun als dafür sorgen, dass man sich morgens beim Aufwachen selbst respektiert. Es mag schade sein, es mag unglaublich wehtun, es mag darauf hinauslaufen, jemanden im Stich zu lassen, aber manchmal ist das eben die einzige echte Option, die uns bleibt.